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Werke (Auswahl)

Das Oeuvre von Max Bruch umfasst Opern, geistliche und weltliche Chorwerke, Sinfonien, Konzerte und andere Orchesterwerke, Kammermusik für verschiedene Besetzungen und viele Lieder. Das Loh-Orchester Sondershausen widmet sich seinem kompositorischen Erbe regelmäßig in seinen unterschiedlichen Konzertreihen. Die unten stehende Zusammenstellung ist eine Auswahl von Werken, die in den vergangenen Jahren zur Aufführung kamen.

 

Orchesterwerke

Ouvertüre zur Oper "Die Lorely" op. 16

1. Violinkonzert g-Moll op. 26

BRUCHS „ALLERWELTSKONZERT“

1. Violinkonzert g-Moll op. 26

I. Vorspiel. Allegro moderato
II. Adagio
III. Finale. Allegro energico 

(Komponiert 1864–1867, vollendet im Oktober 1867 in Sondershausen, uraufgeführt am 7. Januar 1868 in Bremen.)

Zwanzig Jahre nach Mendelssohns Violinkonzert und zehn Jahre vor Brahms’ Violinkonzert entstand Max Bruchs erstes Violinkonzert in g-Moll, das schon nach kurzer Zeit so große Beliebtheit errang und in ganz Europa herauf- und heruntergespielt wurde, dass der Komponist es etwas ironisch als sein „Allerwelts-Concert“ bezeichnete.  Als er feststellen musste, dass das Werk allmählich seine restlichen Kompositionen in den Schatten stellte, wurde er ärgerlich und schimpfte in einem Brief an seinen Verleger Simrock: „Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger. Alle 14 Tage kommt Einer und will mir das I. Concert vorspielen; ich bin schon grob geworden, und habe ihnen gesagt: ‚Ich kann dies Concert nicht mehr hören, habe ich vielleicht bloß dies eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin und spielen Sie endlich einmal die anderen Concerte, die ebenso gut, wenn nicht besser sind!‘“  Tatsächlich werden die anderen beiden Violinkonzerte, beide in d-Moll geschrieben, noch heute längst nicht so viel gespielt wie das g-Moll-Konzert. Freilich verdient das Werk, wie schon der Bruch-Forscher Donald F. Tovey versicherte, „den großen Erfolg, den es immer hatte, ganz und gar.“  Schließlich ist es die Frucht einer vierjährigen, überaus sorgfältigen Arbeit, während der sich Bruch mit vielen Geigern austauschte und immer wieder Änderungen vornahm.
 
Bruch war in der Zeit, in der er an seinem ersten Violinkonzert feilte (1865–1867), „Director des Königlichen Musik Instituts und der Koblenzer Abonnementskonzerte“ mit einem stattlichen Gehalt von 367 Talern und 15 Silbergroschen. 1865 schrieb er an Ferdinand Hiller, eine Führungspersönlichkeit des musikalisch-konservativen Lagers, zu dem auch Bruch gehörte: „Mein Violin-Concert avanciert langsam: ich fühle mich auf dem Terrain nicht sicher. Finden Sie nicht, dass es eigentlich sehr verwegen ist, ein Violin-Concert zu schreiben?“ 
 
Rückblickend fand Bruch das Komponieren seines Violinkonzerts „eine verflucht schwere Sache; ich habe von 1864–68 mein Concert gewiss ein halb Dutzendmal wieder umgeworfen, und mit Geigern conferirt, bevor es endlich die Form gewonnen hat, in der es nun allgemein bekannt ist und überall gespielt wird.“  Den Schlussstrich setzte Bruch übrigens in Sondershausen unter die Partitur – an seinem neuen Arbeitsplatz als Hofkapellmeister. Einer der Geiger, mit denen Bruch „konferierte“, war der berühmte Joseph Joachim. Ihm ist das g-Moll-Konzert „in Freundschaft zugeeignet“ – ähnlich wie später bei Brahmsʾ Violinkonzert nahm er auf die Komposition entscheidenden Einfluss. Von Anfang an ermutigte er den zögerlichen Bruch: „Im Ganzen ist Ihr Stück sehr violinmäßig, und es wird auch von dieser Seite, glaube ich, trefflich wirken.“  Er versicherte ihm, dass das Stück nicht nur eine „Phantasie“, sondern formal ein richtiges Konzert sei – was Bruch zunächst bezweifelt hatte. Joachim spielte das Konzert dann bei der Uraufführung am 7. Januar 1868 in Bremen und nahm es anschließend mit auf Tournee. Der Erfolg beschwingte den Komponisten: „En attendant bin ich so frei, eine Sinfonie zu machen. Das Concert hat mir Muth zu Instrumentalmusik gemacht […]. Das Concert fängt an, eine fabelhafte Joseph Joachim Carriere zu machen, Joachim hat es in Bremen, Hannover, Aachen, Brüssel gespielt, spielt es nächstens in Copenhagen und Pfingsten auf dem Cölner Musikfest, was mich unendlich freut.“ 
 
Die handschriftliche Original-Partitur des Violinkonzerts erlitt ein merkwürdiges Schicksal: Durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg war der alte Bruch finanziell in Not geraten und entschied sich, die Originalhandschrift zu verkaufen. Er überließ die wertvollen Papiere den Schwestern Ottilie und Rose Sutro, die sie mit in die Vereinigten Staaten nehmen und dort verkaufen sollten, und wartete anschließend bis zum Ende seines Lebens auf die „Dollars“ – vergeblich! Erst 1920 erhielten seine Kinder den angeblichen Erlös in völlig wertlosem deutschem Papiergeld ausbezahlt. Erst viel später stellte sich heraus, dass die Partitur inzwischen an die Pierpont Morgan Library in New York gestiftet worden war, wo sie bis heute liegt.
 
Obwohl der erste Satz über weite Strecken rhapsodisch-frei erscheint, ist er – wie die anderen beiden Sätze auch – in eine kunstvolle Sonatenform gefasst. Dem ersten Thema in g-Moll, das ein Terzmotiv mit akrobatischen Geigenläufen und –arpeggien verbindet, steht eine liebliche, girlandenartige Melodie in B-Dur als zweites Thema gegenüber. Beide sind keine geschlossenen Themen, sondern spinnen sich präludierend fort. Bruch hatte hier die neuartige Idee, den Kopfsatz seines Konzerts nicht als Hauptsatz, sondern als „Vorspiel“ zum zweiten Satz zu konzipieren. Die ersterbenden Streicher verharren schließlich auf einem Liegeton, der in das lyrische Adagio übergeht. Hier entfaltet die Geige auf einem unendlich friedlichen Es-Dur-Klanggrund mit ganz schlichten Gesten eine wunderschöne Gesangsmelodie. Sie wird sehr hoch auf den tiefen Saiten der Geige intoniert: Das ergibt eine einzigartig weiche Klangfarbe, die wie verträumt in die Nachmittagssonne blinzelt. Der Finalsatz kommt mit seinen virtuosen Terztriller-Figuren im „Zigeuner“-Stil daher, den man im 19. Jahrhundert „all’ongharese“ nannte, „auf ungarische Art“. Die Idee zu dieser feurigen Musik holte sich Bruch womöglich bei Joseph Joachim, der selbst im Jahr 1854 ein „Ungarisches Konzert“ komponiert hatte.
(Dorothea Krimm)
1. Sinfonie Es-Dur op. 28

„WIEDERGEBURT“ DER ERSTEN SINFONIE

 1. Sinfonie Es-Dur op. 28

I. Allegro maestoso
II. Intermezzo. Andante con moto
III. Scherzo. Presto
IV. Quasi Fantasia. Grave
V. Allegro guerriero
 
(Begonnen in Koblenz, in Sondershausen vollendet, Uraufführung am 26. Juli 1868 mit der fürstlichen Hofkapelle in Sondershausen unter der Leitung von Max Bruch. Im Druck erschienen 1870 ohne den ursprünglichen 2. Satz (Intermezzo). Neuedition der Sinfonie 2017 durch den Musikverlag Edition Stringendo. Darin Wiederaufnahme des Intermezzos und Berücksichtigung von Änderungen, die der Komponist in das Partiturautograf eingetragen hatte. Erstmalige Aufführung der Originalfassung seit 1868 durch das Loh-Orchester zum 5. Sinfoniekonzert am 4. und 5. März 2017.)
 
„Eigentlich sind heute alle Sinfonien überflüssig“, äußerte Max Bruch einmal.  Und auf sein eigenes Schaffen bezogen bekannte er: „Auf anderen Gebieten bin ich mehr zu Hause und habe ich mehr geleistet, als auf dem der Sinfonie.“  Dennoch hat Bruch immerhin drei Sinfonien komponiert. Sie alle stehen im Zusammenhang mit seiner Zeit als Kapellmeister der fürstlichen Hofkapelle in Sondershausen. Bruch trat den Posten im Jahr 1867 an und hatte ihn bis 1870 inne. Er schätzte das Orchester ganz außerordentlich, „ich […] dirigiere eine ganz vorzügliche Hofkapelle“, schrieb er am 7. August 1867 an Clara Schumann.  In Sondershausen hatte er neben seiner Dirigiertätigkeit außerdem Zeit zum Komponieren, und er konnte dabei mit „seinem“ Orchester viel ausprobieren. Im Rückblick bekannte er denn auch: „Ungeheuer fördernd hat Sondershausen gewirkt. Eigentliche Orchesterkenntniß konnte ich mir nirgends so erwerben wie hier.“  So nutzte Bruch die Zeit, um sich mit der großen Form der Sinfonie vertraut zu machen. In Sondershausen nahm er die Arbeit an der 1. Sinfonie wieder auf, die er in Koblenz begonnen hatte, und schrieb sie dort zu Ende. Er komponierte in der Residenzstadt außerdem noch seine 2. Sinfonie und entwarf erste Ideen für seine Dritte.
 
Die 1. Sinfonie Es-Dur op. 28 (gewidmet Johannes Brahms) brachte die Hofkapelle am 26. Juli 1868 unter Bruchs Leitung zur Uraufführung. Dirigiert wurde aus dem Partiturmanuskript und gespielt aus den handschriftlichen Orchesterstimmen. Das Werk bestand aus fünf Sätzen mit einem „Allegro maestoso“, gefolgt von einem „Intermezzo“ als zweitem Satz, einem „Scherzo“ an dritter, dem „Quasi Fantasia. Grave“ an vierter Stelle und schließlich dem Finale „Allegro guerriero“. Im Jahr 1870 brachte der Verleger August Cranz die Sinfonie in einem Druck heraus. Nun jedoch fehlte das Intermezzo, so dass die Sinfonie vier Sätze hatte und somit der gängigen Form entsprach. In dieser gekürzten Fassung wurde sie bekannt. Das originale Partiturmanuskript mit dem Intermezzo gelangte in die damalige Bibliothek des Leipziger Musikverlags Peters und ist heute in der Stadtbibliothek Leipzig zugänglich. Dort entdeckte der Musikverleger Wolfang Jacob im Jahr 2015 mehr durch Zufall, dass die 1. Sinfonie von Bruch ursprünglich noch ein Intermezzo enthielt. Im Manuskript sah er auch, dass Bruch noch einige Änderungen vorgenommen hatte, die aber in den Druck von 1870 nicht mehr übernommen worden waren. Wolfgang Jacob nahm sich das Partiturmanuskript vor und legte die Sinfonie, unter Berücksichtigung der handschriftlich eingetragenen Änderungen, ganz neu auf. Er gab der Sinfonie auch das fehlende Intermezzo zurück (laut Eintrag im Manuskript hatte Bruch diesen Satz für die 3. Sinfonie vorgesehen, in die es aber keinen Eingang fand). Das Loh-Orchester war im März 2017 in seinem 5. Sinfoniekonzert der Spielzeit 2016/2017 das erste Orchester, das nach der Neuedition diese Sinfonie in der von Bruch revidierten und um das fehlende Intermezzo ergänzten Fassung zum Klingen brachte.
 
Die Musik ist ein wunderbares Beispiel für Bruchs Vorliebe für weiche, fließende Melodik und warme Klänge, etwa von Bratsche und Klarinette. Schon vor dem Einsatz des markanten ersten Themas im ersten Satz entfaltet er eine naturhafte Atmosphäre mit zarten Wellenbewegungen in den Streichern und aufsteigenden Linien in den Bläsern, in denen romantische Hornklänge hervortreten. Im Intermezzo bilden fließende Auf- und Abwärtsbewegungen in den Streichern – insbesondere den Bratschen – den Untergrund, über dem sich in den Holz- und Blechbläsern und mitunter auch in den übrigen Streichern weiche Melodiebögen entspinnen. Mit H-Dur erklingt der Satz in einer Tonart, die von der Haupttonart der Sinfonie Es-Dur kaum weiter entfernt sein könnte. Der dritte Satz ist ein buntes Scherzo, dessen tänzerische Motive in den Holzbläsern an das Scherzo aus Mendelssohns „Sommernachtstraum“ denken lassen. Das Grave steht in der dunklen Tonart es-Moll. Der von Holzbläsersoli getragene, klanglich transparente Beginn verdichtet sich zunehmend zum vollen Tuttiklang, bis der Schluss zum Anfang zurückkehrt. Attacca geht es weiter zum Finale, dem Allegro guerriero im hellen Es-Dur. Die Satzbezeichnung kündigt eine kriegerische Musik an. Markantes Sforzato, scharf punktierte Rhythmen und Fanfaren sind zu hören, unterbrochen lediglich durch das zweite Thema und eine Rückkehr zur weichen Melodik im „espressivo e cantabile“. Mit Es-Dur wählte Bruch eine traditionell dem Kriegerischen zugeordnete Tonart. So beschreibt sie etwa Heinrich Christoph Koch in seinem „Kurzgefaßten Handwörterbuch der Musik“ aus dem Jahr 1807 als „eine der gebräuchlichsten unserer 12 harten [Dur-] Tonarten. […] Die Tonart es dur wird auch zuweilen der Feldton genannt, weil die bey der eigentlichen Kriegsmusik gewöhnlichen Instrumente, als Trompeten, Clarinetten, Hörner u.s.w. nach dieser Tonart mensuriert sind.“ 
 
Max Bruch widmete die 1. Sinfonie Johannes Brahms, einem als konservativ geltenden Zeitgenossen, den er ganz besonders schätzte und dem er auch persönlich verbunden war: „Gleichzeitig mit diesen Zeilen, verehrter Freund, wird die Partitur meiner Sinfonie bei Ihnen eintreffen. Ich habe mir erlaubt, sie Ihnen ohne vorherige Anfrage zu widmen, und hoffe, Sie werden sie deshalb nicht weniger freundlich aufnehmen. Indem ich mein Werk mit Ihrem Namen schmücke, lieber Brahms, wünsche ich Ihnen vor allem zu beweisen, wie hoch ich Ihre Begabung und Ihre Leistungen zu schätzen weiß – wie sehr ich als mitstrebender Kunstgenosse mich an Ihrer wahrhaft bedeutenden und sich noch stets steigernden Produktionskraft erfreue und begeistere. […]“  
(Juliane Hirschmann)

 

 

2. Sinfonie f-Moll op. 36

Fantasie für Violine und Orchester op. 46 (Schottische Fantasie)

Suite nach russischen Volksmelodien op. 79b

Konzert für Klarinette (oder Violine) und Viola mit Orchester op. 88

Sinfonische Suite für Orchester und Orgel op. 88 b

3. Sinfonie E-Dur op. 51
„LEBENSLUST UND FREUDIGKEIT“
 
3. Sinfonie E-Dur op. 51
 
I. Andante sostenuto – Allegro molto vivace
II. Adagio ma non troppo
III. Scherzo. Vivace
IV. Finale. Allegro ma non troppo
 
(Erste Skizzen vermutlich vor 1870, Komposition 1882, Uraufführung am 19. Dezember 1882 in New York, Überarbeitung der Sinfonie 1884–1886.)
 
Max Bruch, der Zeit seines Lebens mit scharfzüngigen Urteilen insbesondere gegenüber Komponistenkollegen nicht sparte, sprach einst von den „grauenhaften Produkten der Herren Strauss, Reger und Konsorten“. Für deren Musik hatte er nichts übrig, die „Zukünftler“ um Liszt und Wagner nannte er „Kuhzünftler“. Unter den komponierenden Zeitgenossen schätzte er hingegen ganz besonders Johannes Brahms, der dem als konservativ geltenden Lager seiner Zeit angehörte.
Klare Formen und ein ausgeprägter Sinn für schöne Melodien prägen Bruchs Komponieren. Oft inspirierte ihn das Volkslied, das ihm nach eigenem Bekunden immer wieder „die mannigfaltigsten Anregungen“ gab. Sein populäres Violinkonzert g-Moll stellte schon zu Lebzeiten seine anderen Werke in den Schatten. Heute ist allgemein wenig bekannt, dass Bruch etwa mit „Odysseus“, „Moses“, „Gustav Adolf“ oder dem „Lied von der Glocke“ vor allem große Chorwerke auf antike, biblische oder historische Stoffe schuf, die mit ihrem „national-politischen Unterton […] ein wichtiges Dokument der Musikkultur der Gründerzeit“ sind  und Bruchs Ruhm zu seiner Zeit begründeten. Von der Sinfonie hatte Bruch hingegen eine weniger hohe Meinung, „eigentlich sind heute alle Sinfonien überflüssig“, äußerte er einmal.   Und auf sein eigenes Schaffen bezogen bekannte er: „Auf anderen Gebieten bin ich mehr zu Hause und habe mehr geleistet, als auf dem der Sinfonie.“ 
Dennoch hat Bruch immerhin einige Sinfonien komponiert. Seine drei erhaltenen stehen im Zusammenhang mit seiner Kapellmeistertätigkeit in Sondershausen. 1867 trat er dort seinen Posten bei der Hofkapelle, dem späteren Loh-Orchester an und blieb bis 1870. Er schätzte das Orchester ganz außerordentlich, „ich […] dirigiere eine ganz vorzügliche Hofkapelle“, schrieb er am 7. August 1867 an Clara Schumann. In Sondershausen hatte er neben seiner Dirigiertätigkeit außerdem Zeit zum Komponieren, und er konnte dabei mit „seinem“ Orchester viel ausprobieren. Im Rückblick bekannte er denn auch: „Ungeheuer fördernd hat Sondershausen gewirkt. Eigentliche Orchesterkenntniss konnte ich mir nirgends so erwerben wie hier.“  
So nutzte Bruch die Zeit, sich mit der großen Form der Sinfonie vertraut zu machen. Seine ersten beiden Sinfonien komponierte er in Sondershausen, die 1. Sinfonie Es-Dur op. 28 (gewidmet Johannes Brahms) entstand 1868 und die 2. Sinfonie f-Moll op. 36 (gewidmet dem Geiger Joseph Joachim) 1870. Beide wurden mit der Hofkapelle in Sondershausen uraufgeführt. Schließlich gehen auch die Anfänge der 3. Sinfonie bis in die Sondershäuser Zeit zurück. Bis zur Vollendung vergingen dann jedoch etwa 15 Jahre.
Auf die Festanstellung in Sondershausen folgten zunächst einige Jahre freien Schaffens in Berlin und Bonn. 1880 nahm Bruch die Direktorenstelle der Philharmonischen Gesellschaft im englischen Liverpool an. Inzwischen galt er als einer der höchstrangigen zeitgenössischen Musiker. Doch er blieb nur für kurze Zeit in England, bereits 1883 folgte er einem Ruf als Leiter des Breslauer Orchestervereins.
Mittlerweile unterhielt Bruch auch Beziehungen nach Amerika. Im Sommer 1882 wurde er vom amerikanischen Dirigenten Walter Damrosch beauftragt, eine Sinfonie zu komponieren, deren Uraufführungsrecht die Symphony Society in New York (das spätere New York Symphony Orchestra) bekommen sollte. Für dieses Auftragswerk griff Bruch nun auf die Sondershäuser Skizzen zu einer dritten Sinfonie zurück. Er vollendete das Werk rasch, so dass die Uraufführung schon im Dezember 1882 in New York stattfinden konnte. Im Februar 1883 folgte eine Aufführung in Boston. Bis 1886 nahm Bruch noch einige Änderungen vor; in dieser überarbeiteten Fassung kam das Werk u. a. in Bremen unter der Leitung von Hans von Bülow zur Aufführung.
Folgt man den Aussagen des Komponisten, dann ist die Sinfonie Ausdruck seiner „Liebe zum Rheinland“ und könne „im Allgemeinen wohl für einen Ausdruck echt rheinischer Lebenslust und Freudigkeit gelten“.   Bruch, 1838 in Köln geboren und dort aufgewachsen, war Rheinländer und fühlte sich zeitlebens seiner Heimat eng verbunden. Laut ihm hätte die Sinfonie die Überschrift „Am Rhein“ tragen sollen.
Eine naturhafte Idylle entfaltet zunächst die langsame Einleitung zum 1. Satz mit ausgedehnten Soli in Klarinetten, Hörnern und Flöte, die an Hirtenrufe und Vogellaute denken lassen. Das von Synkopen, aufbrausenden Skalen und Sprüngen beherrschte Hauptthema im Allegro erscheint wie ein Ausdruck größter Freude, dem sich ein ruhigeres, verinnerlichtes zweites Thema anschließt. Einen streckenweisen religiösen Charakter trägt das choralhaft beginnende und später ruhig dahinfließende Adagio. Das überschwängliche Scherzo in C-Dur lag Bruch besonders am Herzen und spiegelt die „rheinländische Fröhlichkeit“ wohl am meisten. Nach der Bostoner Aufführung konnte man im Boston Daily Advertiser lesen, dass der Satz „den Anschein eines Menuetts erweckt, in dem die Tänzer im Hochgefühl des Sports ihre höfische Manier vergessen haben. Der Satz ist raffiniert humorig und unterhaltsam“. Ein sehr ruhiges sangliches Thema kontrastiert im Finale mit einer jubelnden Musik, mit der das Finale einen Bogen zum Kopfsatz schließt.
Die Sinfonie fand zu Lebzeiten Bruchs zwar keine euphorische, aber dennoch freundliche Aufnahme. „Sie strebt eindeutig nicht nach dem höchsten Rang der Sinfonie-Komposition“, schreibt der Kritiker des Boston Daily Advertiser, „aber sie erfüllt alle Ansprüche, die sie sich gestellt hat […]“.  
(Juliane Hirschmann)

 

Chorwerke

Die Glocke. Oratorium nach "Das Lied von der Glocke" von Friedrich Schiller op. 45

Gruß an die Heilige Nacht. Weihnachtshymne op. 62

 

Kammermusik

Septett Es-Dur

DER JUNGKOMPONIST

Septett Es-Dur für Klarinette, Horn, Fagott, 2 Violinen, Violoncello und Kontrabass

I. Andante maestoso
II. Adagio
III. Scherzo. Allegro – Trio. Un poco meno Allegro
IV. Largo
(Komponiert 1849.)
 
Max Bruch, als erwachsener Mann Schöpfer des berühmt gewordenen Violinkonzerts g-Moll, zahlreicher Chorlieder und vieler weiterer Kompositionen, legte schon als Kind Verheißungsvolles vor. Ein Lied zum Geburtstag seiner Mutter gilt als kompositorischer Auftakt des erst 9-Jährigen, der zuvor eher eine Neigung zur Malerei gezeigt hatte (und zwar offenbar so eindrucksvoll, dass Verwandte ihn als „zweiten Raffael“ bezeichnet hatten). Doch die Musik schien schließlich eine größere Anziehungskraft ausgeübt zu haben. Auf den kompositorischen Erstling folgten Klavierstücke, Violinsonaten, ein Streichquartett und Orchesterwerke. Ersten musiktheoretischen Unterricht erhielt Bruch, der ansonsten zu Hause von seinen Eltern und von Lehrern des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Köln unterrichtet wurde, bei Prof. Heinrich Breidenstein, einem Freund des Vaters. Für seine kompositorische Entwicklung wurde jedoch die Begegnung mit dem Komponisten, Dirigenten und Musikpädagogen Ferdinand Hiller bedeutend. Dieser hielt überaus viel vom jungen Bruch und empfahl den 14-Jährigen 1852 für einen Preis der Mozart-Stiftung Frankfurt. Bruch erhielt daraufhin vier Jahre lang (1853–1857) Kompositionsunterricht bei Hiller und Klavierunterricht u. a. bei Carl Reinecke. Hiller solle, so verlangte die Stiftung, „den neuen Mozart-Zögling zu einem wackeren Musiker und Tondichter“ heranziehen. Bruch zeigte sich dankbar. „Ich werde“, so schrieb er an Hiller, „mein Möglichstes tun, um das Vertrauen zu rechtfertigen, welches man in mich gesetzt hat, und unter Ihrer Leitung recht tüchtig arbeiten, wie es einem Stipendiaten der Mozart-Stiftung zukommt!“   Die Namen Bruch und Mozart wurden häufiger in einem Atemzug genannt. So hatte man Bruch am 12. März 1852 – kurz nachdem eine Sinfonie von ihm in der Kölner Musikalischen Gesellschaft aufgeführt worden war – in der „Rheinischen Musikzeitung“ mit Mozart und Mendelssohn verglichen. Darüber hinaus war dort zu lesen: „Dabei ist er ein lieber, offener, munterer, kindlich unbefangener Knabe, der, obwohl er nur in Tönen lebt und webt, nichtsdestoweniger auch für andere Gegenstände Geschick und Befähigung zeigt. […] Möge er mutig auf der begonnenen Bahn vorwärts schreiten, der Kunst nur um ihrer selbst willen als der hehren heiligen Göttin dienen und sein Ziel nur in der Erreichung des Höchsten und Besten finden! Dazu wünschen wir ihm von ganzem Herzen des Himmels besten Segen!“  
 
Zahlreiche frühe Werke Bruchs sind verschollen. Dass 1968 im Nachlass seiner Schwiegertochter (der Witwe von Bruchs ältestem Sohn) das Autograf seines Septetts aus dem Jahr 1849 gefunden wurde, ist daher ein großer Glücksfall. Womöglich hatte Bruch dieses Septett im Gedenken an den von ihm zeitlebens verehrten Johann Wolfgang von Goethe komponiert, denn auf der Innenseite hatte er das Datum zum 100. Geburtstag des Dichters notiert (28.08.1849). Mit der Komposition an sich stellte sich Bruch in der Tradition von Beethovens Septett aus dem Jahr 1800, das zu einem Prototyp dieser Gattung geworden war.
Das posthum veröffentlichte Werk zeigt einen souveränen Umgang Bruchs mit der verfügbaren Besetzung aus Klarinette, Horn, Fagott und einem Streichquartett aus zwei Violinen, Violoncello und Kontrabass; geschickt nutzte die Kombinations- und Klangmöglichkeiten. So stellt Bruch die zwei Gruppen aus Bläsern und Streichern unter häufiger Führung von erster Violine bzw. Klarinette gegenüber oder koppelt die hohen Stimmen einerseits, die mittleren bzw. tiefen Stimmen andererseits oder aber komponiert ein lebendiges und rasches Wechselspiel zwischen allen Instrumenten und erreicht so eine reizvolle Echowirkung. Die langsame Einleitung des Kopfsatzes nutzt Bruch, um das Ensemble vorzustellen, indem er auf einen simultanen Einsatz aller Instrumente eine solistische Vorstellung jedes einzelnen Instrumentes folgen lässt. Erste Violine, Klarinette, Horn und Fagott erklingen in absteigender Bewegung nacheinander, später hört man das Violoncello, die paarweisen Violinen und den Kontrabass vor einer ausgedehnten Kadenz der ersten Violine. Sie übernimmt auch in allen vier Sätzen oft die Hauptstimme.
 
Der Kopfsatz folgt im weiteren Verlauf einem klassischen Sonatensatz aus drei Teilen (Exposition, Durchführung, Reprise). Kammermusikalisch transparente und sinfonisch dichte Partien wechseln in der Musik, die das dunkle Timbre von Klarinette und Cello bevorzugt. Im zweiten Satz, einem Variationensatz, wird das Kopfmotiv des einleitenden Themas wichtig. Bruch spielt mit einem ständigen Wechsel der Klangfarben, indem er die gleiche Musik von verschiedenen Instrumenten abwechselnd spielen lässt. Nach einem lebhaften Scherzo und einem Trio, in dem Klarinette und erste Violine führen, schließt der vierte Satz mit einer langsamen Einleitung an. Das aufstrebende kurze Motiv am Beginn dieser langsamen Einleitung kehrt im folgenden „Allegro vivace“ beständig wieder. Anders als im Kopfsatz sind bewegtes erstes und ruhigeres zweites Thema jedoch deutlich voneinander geschieden. Der ersten Violine gehört erneut eine Kadenz, bevor der Satz mit einer veränderten Wiederholung des ersten Teils schließt.
(Juliane Hirschmann)

 

 

Klaviertrio c-Moll op. 5

1. Streichquartett c-Moll op. 9

Quintett für Klavier und Streichquartett g-Moll

EIN KLAVIERQUINTETT FÜR ENGLISCHE FREUNDE

Quintett für Klavier und Streichquartett g-Moll

I. Allegro molto moderato
II. Adagio
III. Scherzo. Allegro molto – Trio. L’istesso tempo
IV. Finale. Allegro agitato

(Datiert Breslau 1886.)

Nach seinen ersten beiden Festanstellungen als Musikdirektor in Koblenz (1865–1867) und Hofkapellmeister in Sondershausen (1867–1870) sowie anschließend einigen Jahren freien Schaffens in Berlin und Bonn hatte Max Bruch 1880 die Direktorenstelle der Philharmonischen Gesellschaft im englischen Liverpool angenommen. Bruch galt als einer der höchstrangigen zeitgenössischen Musiker, und seine Ankunft in Liverpool wurde groß angekündigt. Doch blieb Bruch wider Erwarten nur für kurze Zeit in England, bereits 1883 folgte er einem Ruf als Leiter des Breslauer Orchestervereins. Schon im November 1881 deutete sich Bruchs baldiger Aufbruch aus Liverpool an, als er seinem Freund und einstigen Lehrer Ferdinand Hiller mitteilte: „Was mich betrifft, so lebe ich zwar in guten und auskömmlichen Verhältnissen und bin im Hause sehr glücklich, im Übrigen aber bedaure ich es fast täglich, dass ich nach England gegangen bin. Ich bin zu sehr Deutscher, und mein ganzes Sein und Empfinden wurzelt zu tief in deutschem Boden, als dass ich mich jemals unter diesem trockensten, langweiligsten, unmusikalischsten Volk der Erde heimisch fühlen könnte. Immerhin muss man anerkennen, dass sie in musikalischen Dingen bloß dumm, nicht boshaft und kleinlich sind, wie unsere lieben Landsleute manchmal.“   Obwohl seine Meinung über die Engländer also alles andere als freundlich ausfiel, ließ Bruch in Liverpool doch einige Freunde zurück, mit denen er auch nach seinem Weggang im Kontakt blieb. Einer von ihnen war Andrew Kurtz, Leiter einer chemischen Fabrik, Vorstandsmitglied der Philharmonischen Gesellschaft und ein sehr guter Amateurpianist. Dieser hatte sich für den privaten Hausgebrauch von Bruch ein Klavierquintett gewünscht, wie in einem Brief von Henry Sudlow, Sekretär der Philharmonischen Gesellschaft und ebenfalls ein Freund Bruchs, zu lesen ist: „Ich habe Herrn Kurtz gesehen und mit ihm über Ihre Wünsche gesprochen bezüglich des Quintetts. Es liegt ihm viel daran, das Manuskript zu erhalten, und ich habe ihm gesagt, dass es kurz nach Januar fertig werden würde.“ 1886 erreichte Kurtz – Bruch war bereits in Breslau – ein Teil der Musik. „Uns allen liegt sehr an der Vervollständigung des Werkes“, so Kurtz dann am 8. Januar 1888 an Bruch, „das wir, weil es unvollständig ist und wir jede Woche auf den Erhalt des Endes des letzten Satzes hoffen, nur selten spielen.“   Bruch komponierte den Schluss und widmete das Werk seinem englischen Freund: „Composed for and dedicated to Mr. A.G. Kurtz in Liverpool, Breslau 1886“. Veröffentlicht wurde es jedoch erst weit nach Bruchs Tod im Jahr 1989.
 
Das Klavierquintett zeichnet sich durch eine ausgeprägte Klangschönheit aus. Der melancholische Grundzug ist der Tonart g-Moll des Werkes geschuldet. Formal bleibt Bruch in allen vier Sätzen sehr klar und der Tradition verbunden. Der Beginn des ersten Satzes stellt Streicher und Klavier zunächst getrennt voneinander gegenüber; er beginnt mit minimalen Bewegungen aber klangintensiv in den Streichern und führt erst mit dem Einsetzen des punktierten Hauptthemas eine weit ausladende Melodik ein. Während Klavier und Streichquartett im ersten Teil, der Exposition des Satzes, überwiegend im Wechsel erklingen, vereinen sie sich im Mittelteil, der Durchführung, zu einem simultanen Spiel. Weit aufschwingende melodische Bögen beherrschen den langsamen Satz. Das Scherzo beginnt stockend, mündet dann jedoch in ein fortlaufendes Perpetuum mobile. Von drängenden Seufzerfiguren beherrscht ist das Trio, das dem eher ausgelassenen Scherzo kontrastierend gegenübersteht. Im Finale schließt diese späte Kammermusik Max Bruchs temperamentvoll.
(Juliane Hirschmann)

 

Schwedische Tänze für Violine und Klavier op. 63

IM VOLKSTON

Schwedische Tänze für Violine und Klavier op. 63

Einleitung. Langsam
I. Sehr mäßig
II. Ruhig bewegt
III. Frisch, nicht zu schnell
IV. Langsam, nicht schleppend
V. Ziemlich schnell
VI. Langsam, mit Ausdruck
VII. Lebhaft
VIII. Sehr mäßig
IX. Lebhaft
X. Frisch, nicht zu schnell
XI. Sehr mäßig
XII. Langsam, nicht schleppend
XIII. Sehr mäßig
XIV. Gehend, ruhig bewegt
XV. Sehr mäßig

(Komponiert 1892.)

„Zwölf schottische Volkslieder mit Klavierbegleitung“ (1863), „Suite nach russischen Volksliedern“ für Orchester (1903), „Zweite Suite mit freier Benutzung schwedischer Volksmelodien“ (1906), „Kol Nidrei d-Moll für Violoncello mit Orchester und Harfe nach hebräischen Melodien“ (1880/1881) oder „Schwedische Tänze“ (1892): Bereits die Titel zahlreicher Werke Max Bruchs – die Liste ließe sich weiter fortsetzen – verraten die Vorliebe des Komponisten für das Volkslied. Und keineswegs nur ein bestimmtes, sondern dasjenige ganz verschiedener Völker. Es war für Bruch ein ganz fester Bezugspunkt in allen Phasen seines Schaffens. Den echten „Naturton“ schätze er an ihm, wie er im Jahr 1893 seinem Verleger Fritz Simrock bekannte. Bereits 1862 betrieb Bruch intensive Studien an Volksliedern, und 1876 plante er eine große Sammlung mit Volksliedern aus verschiedensten Ländern unter dem Titel „Denkmale des Volksgesangs“, in der jeder Nationalität ein eigener Band gewidmet sein sollte. Dieses große Vorhaben hat Bruch nie beendet, immerhin erschienen drei Bände mit schottischen und walisischen Liedern.
Die „Schwedischen Tänze“ schrieb Bruch 1892 zunächst für Solovioline und Klavier und nahm später eigenhändige Bearbeitungen u. a. für Sinfonieorchester vor, „eigentlich“, so der Komponist, „nur zu meinem Privatvergnügen, und weil ich nie etwas ohne die [Orchester-]Farben denken kann“.   Die fünfzehn Bearbeitungen von lose miteinander verbundenen Volksliedern erschienen in zwei Bänden mit sieben bzw. acht Tänzen.
 
Bruch schuf mit ihnen eine bunte Abfolge von sehr verschiedenen Sätzen mit je eigenem Charakter: Tempo und melodisches Material wechseln beständig, obgleich die meisten Sätze rhythmisch miteinander verbunden sind. So steht ein keckes Thema mit scharfen Staccati im 5. Satz vor einem Satz mit schwelgender Melodie in der Geige, zu der das Klavier in Triolen rhythmisch gegenläufig spielt. Der letzte Satz allerdings greift den ersten wieder auf und gibt dem gesamten Zyklus einen abgeschlossenen Charakter.
Das Vorbild dieser Tänze waren die „Ungarischen Tänze“ des Freundes Johannes Brahms, und Bruch war sich sicher, „dass diese Sachen zu Fuß und zu Pferd gesotten, gebacken und gebraten sich schnell und leicht verbreiten lassen, wie z.B. die ‚Ungarischen Tänze‘“.   Bekannt sind die „Schwedischen Tänze“ zwar weniger als ihr Vorbild, doch sind sie kaum weniger phantasievoll und farbenfroh.
(Juliane Hirschmann)

 

Acht Stücke für Klarinette, Viola und Klavier op. 83

MUSIK FÜR DEN SOHN

Acht Stücke für Klarinette, Viola und Klavier op. 83

(Komponiert 1908/1909, uraufgeführt 1909 in Berlin mit Sohn Max Felix, Klarinette.)

1908 komponierte der inzwischen 70-jährige Max Bruch einen Zyklus von acht Stücken für Klarinette, Viola und Klavier op. 83, kurze Zeit später folgte das Konzert für Orchester, Klarinette und Viola op. 88. Die Besetzung mit Klarinette und Viola hatte es dem Komponisten angetan. Die beiden Melodieinstrumente mit ihrer warmen Mittellage verschmelzen auf besondere Weise zu einem homogenen weichen Klang, der vor Bruch schon andere Komponisten fasziniert hatte. Mozart und Schumann etwa schrieben für diese Instrumente so berühmt gewordene Werke wie das „Kegelstatt-Trio“ bzw. die „Märchenerzählungen“. Dass Bruch für Klarinette komponierte, hatte aber auch einen ganz persönlichen Grund. Denn sein Sohn Max Felix Bruch (1884–1943) war ein hervorragender Klarinettist. Für ihn schrieb Bruch kurz hintereinander die beiden Werke. Felix habe in den „Acht Stücken“ op. 8 durch einen „reinen, schlackenfreien Ton“ begeistert, wie Fritz Steinbach, damals Dirigent des Gürzenich-Orchesters Köln, nach den ersten Aufführungen der acht Stücke bemerkte. Doch Max Felix Bruch war zwar als Klarinettenvirtuose erfolgreich, das Vorbild seines Vaters empfand er aber anscheinend als so übermächtig, dass er später bei einem Schallplatten-Unternehmen arbeitete. Er starb 1943 im zweiten Weltkrieg.
 
Bruch hatte in seinen Stücken, die 1910 veröffentlicht wurden, zunächst noch ein weiteres Instrument vorgesehen. Im Oktober 1908 schrieb er an den befreundeten Pianisten und Dirigenten Arnold Kroegel: „Es existieren jetzt 5 [Stücke für Klarinette,] Bratsche und Klavier, und 3 für dieselben Instrumente mit Harfe.“   Offenbar war es schwierig, für einen insgesamt eher kurzen Einsatz die Harfe auch tatsächlich zu besetzen, so dass Bruch die ursprünglich für die Harfe vorgesehene Musik in den Nummern 3, 5 und 6 in den Klavierpart übertrug.
Die kurzen Sätze kennzeichnet ein ungemein lyrischer Tonfall, und sie entlocken vor allem Klarinette und Bratsche, gestützt durch einen samtigen und oft auch virtuosen Klanggrund des Klaviers, die wärmsten Töne. Schließlich geben die Tonarten – mit Ausnahme von Nr. 7 sind sie alle in Moll gehalten – den Stücken diesen besonderen Charakter. Einen Kontrast bringen Nr. 4 und Nr. 7 durch ein rasches Tempo und markante musikalische Einfälle. Nr. 5 legte Bruch, in dessen Schaffen das Volkslied eine große Rolle spielte, eine „ganz herrliche rumänische Melodie“ zugrunde, vorgeschlagen von der „allerliebsten Prinzessin zu Wied“ (der rumänischen Königin und Widmungsträgerin der Stücke).  
(Juliane Hirschmann)

 

Streichquintett Nr. 2 Es-Dur

STREICHQUINTETT NR. 2

Streichquintett Nr. 2 Es-Dur

I. Andante con moto
II. Allegro
III. Andante con moto
IV. Andante con moto – Allegro ma non troppo vivace

(Komponiert im Dezember 1918, verschollen, wiederentdeckt 1991, Uraufführung am 23. Juli 2008 durch das Henschel-Quartett in London, Wigmore Hall.)

Max Bruch komponierte gegen Ende seines Lebens drei Kammermusikwerke für Streicher: zwei Quintette in a-Moll und Es-Dur im November und Dezember 1918 und ein Oktett, vollendet am 6. März 1920. Alle drei Werke finden sich als Eintrag in dem 1929 veröffentlichten englischsprachigen Kammermusikführer „Cycklopedic Survey of Chamber Music“ von Walter Willson Cobbetts. Doch das Notenmaterial schien verschwunden. Erst Ende der 1980er Jahre tauchten Partitur und Stimmen des a-Moll-Quintetts sowie die Stimmen des Oktetts in der Musikbibliothek der BBC auf, wo sie 1937 zum letzten Mal gesichtet und gespielt worden waren. Anfang der 1990er Jahre wurde dann auch das Es-Dur-Quintett bei einem Privatsammler entdeckt, der die Noten rund zehn Jahre zuvor bei einer Auktion erworben hatte. Bis zur Drucklegung vergingen jedoch 17 Jahre.
 
Bruch blickt in seinem Quintett Es-Dur musikalisch zurück auf frühere Werke. Doch es ist mehr als eine Zusammenstellung von Zitaten und steht für sich. Einen ganz eigenen Charakter entwickelt es durch die weitere Bratsche, denn die Mittelstimmen treten dadurch deutlich gestärkt hervor. Ungewöhnlich klingt der Kopfsatz, weich und introvertiert hat er Introduktionscharakter. Demgegenüber folgt kontrastierend ein markanter zweiter Satz. Der ausdrucksstarke dritte Satz verschränkt die fünf Stimmen über längere Abschnitte kunstvoll ineinander. Der Schlusssatz verbindet die bisherigen Sätze im Ausdruck abschließend miteinander.
(Juliane Hirschmann)
Kol Nidrei op. 47, Vier Stücke für Violoncello und Klavier op. 70

ZWEI WERKE FÜR VIOLONCELLO

Kol Nidrei op. 47. Adagio nach hebräischen Melodien für Violoncello und Klavier
(Komponiert 1880.)
 
Vier Stücke für Violoncello und Klavier op. 70
I. Aria
II. Finnländisch
III. Tanz (Schwedisch)
IV. Schottisch
(Komponiert 1896.)
 
Sowohl die vier Stücke für Violoncello und Klavier op. 70 als auch das berühmte „Kohl Nidrei“ komponierte Bruch Jahre nach seiner Sondershäuser Zeit. Beide Werke widmete er dem mit ihm befreundeten Cellisten Robert Hausmann, den er seit einem gemeinsamen Konzert in Liverpool kannte. Nach dem großen Erfolg seiner Solowerke für die Violine wünschten sich mehrfach auch Cellisten eine Komposition von Bruch. Noch 1874 aber brachte Bruch zum Ausdruck: „Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als dumme Cellokonzerte zu schreiben“. Doch das Spiel von Robert Hausmann machte Eindruck auf ihn, „gestern haben Sie auf dem Cello himmlisch gesungen“, ließ er ihn einmal wissen. (zitiert bei Walz, 2007, 149) 1896 schrieb Bruch den Zyklus op. 70, aus der Feder seines Sohnes Max Felix stammt der erste Satz. Am 11. Oktober übersandte er Hausmann den dritten Satz mit dem Hinweis, dass er das Stück gerne orchestrieren würde (wozu es jedoch nie kommen sollte): „Ich habe die Begleitung hübsch klaviermäßig eingerichtet; sie wird jetzt nicht decken – das Trio in A-Dur würde sich mit Orchester sehr reizend ausmachen. Der Hauptsatz erfordert aber unbedingt an verschiedenen Stellen die entfesselte Kraft des Orchesters, und wie ich dabei das wohlberechtigte Interesse des Solospielers wahrnehmen könnte, das ist mir einstweilen unklar.“ 
 
Bereits 1880 hatte er für Robert Hausmann „Kol Nidrei“ nach dem gleichnamigen jüdischen Gebet komponiert. „Dieses Stück ist ein kleines Pendant zur ‚Schottischen Fantasie‘, da es, wie diese, einen gegebenen melodischen Stoff in künstlerischer Weise erweitert“, so Bruch. Der „melodische Stoff“ sind zwei Melodien „ersten Ranges – die erste ist die eines uralten Hebräischen Bußgesanges, die zweite (D-Dur) der Mittelsatz des rührenden und wahrhaft großartigen Gesanges ‚Oh Weep for Those that Wept on Babel’s Stream‘ (Byron) ebenfalls sehr alt. Beide Melodien lernte ich in Berlin kennen, wo ich bekanntlich im Verein viel mit den Kindern Israel zu thun hatte. Der Erfolg von ‚Kol Nidrei‘ ist gesichert, da alle Juden in der Welt eo ipso dafür sind!“ Elegische und hymnische Stimmung, Moll und Dur, seufzerhaftes Pathos und ruhiges Schreiten sind in dem zweiteiligen Satz gegeneinander gestellt. Die Uraufführung verlief nicht im Sinne Bruchs, man habe, so der Komponist, „dies Adagio durch ein wahnsinnig langsames Tempo künstlich vom Leben zum Tode gebracht“.   Dennoch wurde das Werk schnell populär.
(Juliane Hirschmann)

 

Lieder

Lieder op. 7, op. 18, op. 59, op. 97

„FRISCH GESUNGEN“

Lieder op. 7, op. 18, op. 59, op. 97

Sechs Gesänge für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 7

I. Altes Lied (aus den Junius Liedern von Emanuel Geibel)
II. Zufrieden (Text: Ludwig Uhland)
III. Russisch (Text: Emanuel Geibel)
IV. Schilflied (Text: Nicolaus Geibel)
V. Frühlingslied (Text: Emanuel Geibel)
VI. Frisch gesungen! (Text: Adelbert von Chamisso)

(Zyklus komponiert vor 1859.)

 

Vier Gesänge mit Pianofortebegleitung op. 1

I. Volkers Nachtgesang (Text: Emanuel Geibel)
II. Der Landsknecht (Text: Emanuel Geibel)
III. An die heilige Jungfrau (aus dem Spanischen von Paul Heyse)
IV. Provenzalisches Liebeslied (übersetzt von Paul Heyse)

(Zyklus komponiert um 1863.)

 

Fünf Lieder für Bariton op. 59

I. Um Mitternacht (Text: Eduard Mörike)
II. Kophtisches Lied (Text: Johann Wolfgang Goethe)
III. Zweites Kophtisches Lied (Text: Johann Wolfgang Goethe)
IV. Die Auswanderer I. Flucht (Text: Karl Stieler)
V. Die Auswanderer II. Heimatbild (Text: Karl Stieler)

(Zyklus komponiert 1880–1883 in Liverpool, umgearbeitet 1891.)

 

Fünf Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 97

I. Mein Liebchen naht, Blumen zu pflücken (aus dem Spanischen)
II. Durch die wolkige Maiennacht (Text: Emanuel Geibel)
III. Vor dem Fenster mir (Text: Margarete Bruch)
IV. Morgenlied (Text: Johann Wolfgang Goethe aus „Claudine von Villa Bella“)
V. Ein Mädchen und ein Gläschen Wein (Text: Johann Wolfgang Goethe aus „Jery und Bätely“)

(Zyklus komponiert um 1918.)

Max Bruch war Zeit seines Lebens ein ungemein produktiver Liedkomponist. 12 Liedsammlungen mit insgesamt weit über 60 Liedern sind uns von ihm überliefert. Die oben aufgeführten Lieder stammen aus verschiedenen Schaffenszeiten. Op. 7 und op. 18 schrieb er als noch junger Komponist um 1859 bzw. um 1863, op. 59 entstand 1880–1883 in Liverpool, op. 97 von 1918 schließlich ist Bruchs letzter Zyklus zwei Jahre vor seinem Tod. All diese Lieder zeigen einerseits zahlreiche Konstanten, insbesondere im Hinblick auf die Textdichter, andererseits präsentiert sich Bruch als ein Komponist, der die Möglichkeiten der Liedkomposition vielseitig ausschöpfte.
In den seiner Schwester Mathilde gewidmeten, eher schlicht gehaltenen „Sechs Gesängen“ op. 7 vertonte Bruch noch in seiner Leipziger Studienzeit neben Texten der beiden romantischen Dichter Ludwig Uhland und Nicolaus Lenau vor allem Gedichte von Emanuel Geibel. Dieser war auch später Bruchs bevorzugter Dichter, der überhaupt in Deutschland (nicht zuletzt aufgrund der vaterländischen Inhalte seiner Texte) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr populär war (heute kennen wir von ihm etwa das Frühlings- und Wanderlied „Der Mai ist gekommen …“ in der Vertonung von Justus Wilhelm Lyra). Melancholie und eine gewisse Ruhelosigkeit im Lied „Russisch“ mit feinsten Nuancen in der Textausdeutung stehen in „Frisch gesungen“ Optimismus und Lebensfreude in einem schlichter gehaltenen variierten Strophenlied gegenüber. Der Text dieses Liedes stammt von Adelbert von Chamisso, einem Freund Geibels.
Nur wenige Jahre später um 1863, kurz vor seiner ersten Festanstellung in Koblenz, entstand der Zyklus op. 18 mit je zwei Texten von Geibel und Paul Heyse, neben Geibel der andere häufig von Bruch vertonte Dichter (mit beiden war der Komponist auch persönlich verbunden). Nicht zuletzt aufgrund seines Umfangs ragt das Lied „Volkers Nachtgesang“ innerhalb dieses Zyklus’ heraus. Geibels romantisches Kriegsgedicht setzte Bruch stimmungsvoll in Musik, mit starken Kontrasten, zum Teil subtiler Wortmalerei in einem dichten Klavierpart und einem zwar emphatischen aber doch schlichten Gesang. Geibel lässt in seinem Gedicht eine Gestalt aus der Nibelungensage zu Wort kommen: Der burgundische Ritter Volker von Alzey war Spielmann am Hof der Burgunder in Worms (daher wird auch die Fiedel mit ihm assoziiert, die im Lied Bruchs erscheint). Sein Stammsitz Alzey liegt ca. 20 km von Worms entfernt. Volker stirbt in der Sage mit den anderen Burgundern auf der Burg des Hunnenkönigs Etzel.
Nach seinen ersten beiden Festanstellungen als Musikdirektor in Koblenz (1865–1867) und Hofkapellmeister in Sondershausen (1867–1870) sowie anschließend einigen Jahren freien Schaffens in Berlin und Bonn übernahm Bruch 1880 die Direktorenstelle der Philharmonischen Gesellschaft im englischen Liverpool. Hier komponierte er die Lieder op. 59. Schon 1883 aber folgte er einem Ruf als Leiter des Breslauer Orchestervereins, 1891 ging er (erneut) nach Berlin. Dort arbeitete er die Lieder op. 59 um. In Mörikes Gedicht „Um Mitternacht“ ist die Natur selbst pure Musik (siehe z.B. die Verse „Und kecker rauschen die Quellen hervor, / Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr“). Bruch nimmt in seiner Vertonung den Kontrast auf zwischen Ruhe (der Nacht) und Bewegung (des Wassers): einerseits mit statisch anmutenden Klavierakkorden und kleinen Bewegungen im Gesang und andererseits mit klangvollen Arpeggien im Klavier und einer sich weit aufschwingenden Singstimme. Der Text von Karl Stielers „Flucht“ wiederum geht in einer mehr deklamierend-erzählenden Singstimme auf, die von rauschenden Klavierskalen begleitet wird.
Der letzte Liederzyklus op. 97 trägt in seiner Gesamtheit volksliedhafte Züge. Ihm liegen mit Gedichten von Geibel, Goethe und einem (spanischen) Volkslied noch einmal für Bruch typische Liedtexte zugrunde. In Geibels Gedicht „Durch die wolkige Mainacht“ erscheint die Natur als Spiegel der (hoffnungsvollen) menschlichen Seele, deren Unruhe Bruch in einer drängenden Klavierbegleitung zum Ausdruck bringt. Zu ausgeprägten Wortmalereien ließ er sich durch das Gedicht „Vor dem Fenster“ seiner Tochter Margarete Bruch inspirieren. Das „Morgenlied“ schließlich ist Goethes Schauspiel „Claudine von Villa Bella“ entnommen, zu dem Bruch in jungen Jahren einst eine Musik angefangen hatte zu komponieren.
(Juliane Hirschmann)