„FRISCH GESUNGEN“
Lieder op. 7, op. 18, op. 59, op. 97
Sechs Gesänge für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 7
I. Altes Lied (aus den Junius Liedern von Emanuel Geibel)
II. Zufrieden (Text: Ludwig Uhland)
III. Russisch (Text: Emanuel Geibel)
IV. Schilflied (Text: Nicolaus Geibel)
V. Frühlingslied (Text: Emanuel Geibel)
VI. Frisch gesungen! (Text: Adelbert von Chamisso)
(Zyklus komponiert vor 1859.)
Vier Gesänge mit Pianofortebegleitung op. 1
I. Volkers Nachtgesang (Text: Emanuel Geibel)
II. Der Landsknecht (Text: Emanuel Geibel)
III. An die heilige Jungfrau (aus dem Spanischen von Paul Heyse)
IV. Provenzalisches Liebeslied (übersetzt von Paul Heyse)
(Zyklus komponiert um 1863.)
Fünf Lieder für Bariton op. 59
I. Um Mitternacht (Text: Eduard Mörike)
II. Kophtisches Lied (Text: Johann Wolfgang Goethe)
III. Zweites Kophtisches Lied (Text: Johann Wolfgang Goethe)
IV. Die Auswanderer I. Flucht (Text: Karl Stieler)
V. Die Auswanderer II. Heimatbild (Text: Karl Stieler)
(Zyklus komponiert 1880–1883 in Liverpool, umgearbeitet 1891.)
Fünf Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte op. 97
I. Mein Liebchen naht, Blumen zu pflücken (aus dem Spanischen)
II. Durch die wolkige Maiennacht (Text: Emanuel Geibel)
III. Vor dem Fenster mir (Text: Margarete Bruch)
IV. Morgenlied (Text: Johann Wolfgang Goethe aus „Claudine von Villa Bella“)
V. Ein Mädchen und ein Gläschen Wein (Text: Johann Wolfgang Goethe aus „Jery und Bätely“)
(Zyklus komponiert um 1918.)
Max Bruch war Zeit seines Lebens ein ungemein produktiver Liedkomponist. 12 Liedsammlungen mit insgesamt weit über 60 Liedern sind uns von ihm überliefert. Die oben aufgeführten Lieder stammen aus verschiedenen Schaffenszeiten. Op. 7 und op. 18 schrieb er als noch junger Komponist um 1859 bzw. um 1863, op. 59 entstand 1880–1883 in Liverpool, op. 97 von 1918 schließlich ist Bruchs letzter Zyklus zwei Jahre vor seinem Tod. All diese Lieder zeigen einerseits zahlreiche Konstanten, insbesondere im Hinblick auf die Textdichter, andererseits präsentiert sich Bruch als ein Komponist, der die Möglichkeiten der Liedkomposition vielseitig ausschöpfte.
In den seiner Schwester Mathilde gewidmeten, eher schlicht gehaltenen „Sechs Gesängen“ op. 7 vertonte Bruch noch in seiner Leipziger Studienzeit neben Texten der beiden romantischen Dichter Ludwig Uhland und Nicolaus Lenau vor allem Gedichte von Emanuel Geibel. Dieser war auch später Bruchs bevorzugter Dichter, der überhaupt in Deutschland (nicht zuletzt aufgrund der vaterländischen Inhalte seiner Texte) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr populär war (heute kennen wir von ihm etwa das Frühlings- und Wanderlied „Der Mai ist gekommen …“ in der Vertonung von Justus Wilhelm Lyra). Melancholie und eine gewisse Ruhelosigkeit im Lied „Russisch“ mit feinsten Nuancen in der Textausdeutung stehen in „Frisch gesungen“ Optimismus und Lebensfreude in einem schlichter gehaltenen variierten Strophenlied gegenüber. Der Text dieses Liedes stammt von Adelbert von Chamisso, einem Freund Geibels.
Nur wenige Jahre später um 1863, kurz vor seiner ersten Festanstellung in Koblenz, entstand der Zyklus op. 18 mit je zwei Texten von Geibel und Paul Heyse, neben Geibel der andere häufig von Bruch vertonte Dichter (mit beiden war der Komponist auch persönlich verbunden). Nicht zuletzt aufgrund seines Umfangs ragt das Lied „Volkers Nachtgesang“ innerhalb dieses Zyklus’ heraus. Geibels romantisches Kriegsgedicht setzte Bruch stimmungsvoll in Musik, mit starken Kontrasten, zum Teil subtiler Wortmalerei in einem dichten Klavierpart und einem zwar emphatischen aber doch schlichten Gesang. Geibel lässt in seinem Gedicht eine Gestalt aus der Nibelungensage zu Wort kommen: Der burgundische Ritter Volker von Alzey war Spielmann am Hof der Burgunder in Worms (daher wird auch die Fiedel mit ihm assoziiert, die im Lied Bruchs erscheint). Sein Stammsitz Alzey liegt ca. 20 km von Worms entfernt. Volker stirbt in der Sage mit den anderen Burgundern auf der Burg des Hunnenkönigs Etzel.
Nach seinen ersten beiden Festanstellungen als Musikdirektor in Koblenz (1865–1867) und Hofkapellmeister in Sondershausen (1867–1870) sowie anschließend einigen Jahren freien Schaffens in Berlin und Bonn übernahm Bruch 1880 die Direktorenstelle der Philharmonischen Gesellschaft im englischen Liverpool. Hier komponierte er die Lieder op. 59. Schon 1883 aber folgte er einem Ruf als Leiter des Breslauer Orchestervereins, 1891 ging er (erneut) nach Berlin. Dort arbeitete er die Lieder op. 59 um. In Mörikes Gedicht „Um Mitternacht“ ist die Natur selbst pure Musik (siehe z.B. die Verse „Und kecker rauschen die Quellen hervor, / Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr“). Bruch nimmt in seiner Vertonung den Kontrast auf zwischen Ruhe (der Nacht) und Bewegung (des Wassers): einerseits mit statisch anmutenden Klavierakkorden und kleinen Bewegungen im Gesang und andererseits mit klangvollen Arpeggien im Klavier und einer sich weit aufschwingenden Singstimme. Der Text von Karl Stielers „Flucht“ wiederum geht in einer mehr deklamierend-erzählenden Singstimme auf, die von rauschenden Klavierskalen begleitet wird.
Der letzte Liederzyklus op. 97 trägt in seiner Gesamtheit volksliedhafte Züge. Ihm liegen mit Gedichten von Geibel, Goethe und einem (spanischen) Volkslied noch einmal für Bruch typische Liedtexte zugrunde. In Geibels Gedicht „Durch die wolkige Mainacht“ erscheint die Natur als Spiegel der (hoffnungsvollen) menschlichen Seele, deren Unruhe Bruch in einer drängenden Klavierbegleitung zum Ausdruck bringt. Zu ausgeprägten Wortmalereien ließ er sich durch das Gedicht „Vor dem Fenster“ seiner Tochter Margarete Bruch inspirieren. Das „Morgenlied“ schließlich ist Goethes Schauspiel „Claudine von Villa Bella“ entnommen, zu dem Bruch in jungen Jahren einst eine Musik angefangen hatte zu komponieren.
(Juliane Hirschmann)